Was nötig ist: Die Berliner Freie Szene gehört zu den bekanntesten und produktivsten der Welt. Viele der in Berlin produzierenden KünstlerInnen und Gruppen wurden in den letzten Jahren zu maßgeblichen internationalen Impulsgebern aktueller ästhetischer Entwicklungen. In dieser Stadt leben drei der letzten PreisträgerInnen des Goldenen Löwen der Venedig Biennale, die berühmtesten freien Theatergruppen, die renommiertesten ChoreographInnen, MusikerInnen und SchriftstellerInnen. Die Kombination aus der besonderen Geschichte der Stadt und einem künstlerischen Paradigmenwechsel, der neue, von Institutionen unabhängige Produktions- und Präsentationsformen hervorbrachte, sorgt dafür, dass Berlin als Welthauptstadt aktuellen und zeitgemäßen Kunstschaffens angesehen wird.
Noch.
Kulturpolitisch ist die Freie Szene seit langem eine Herausforderung; sie steht akut unter dem Druck der Unterfinanzierung, einer überholten Förderstruktur, steigender Lebenshaltungskosten sowie zunehmend markt-, nicht kunstorientierter Bewertungskriterien. Die Situation ist bedrohlich, es besteht die Gefahr, den aktuell fruchtbarsten Ort künstlerischen Schaffens in Kulturprovinz zu verwandeln.
Angesichts dieser Lage hat sich 2012 die Koalition der Freien Szene als Zusammenschluss aller Kunstsparten gegründet; sie kämpft für eine neue Kulturpolitik, die die Freie Szene als einen den Institutionen gleichwertigen Kunstproduzenten versteht, anerkennt und entsprechend ausstattet.
Dazu ist eine andere als die bisherige Kulturpolitik nötig, sowohl qualitativ wie quantitativ, strukturell wie finanziell. Die Koalition der Freien Szene hat dazu ein 10-Punkte-Programm formuliert und einen Arbeitskreis „Räumliche Infrastruktur“eingerichtet. Es geht um eine strukturell nachhaltige Politik, die die Leistungen der Freien Szene anerkennt, angemessen fördert und ihre Arbeitsstätten – Ateliers, Probe-, Projekt- und Aufführungsräume – vor Gentrifizierung schützt. Das heißt: struktureller Um- und Ausbau des Stipendiensystems, Ausstattung der Präsentationshäuser mit Produktionsmitteln, Einführung und dauerhafte Gewährleistung von leistungsgerechter Bezahlung künstlerischer Arbeit, von Ausstellungshonoraren und Mindestgagen sowie Sicherung und Ausbau des Bestands an Arbeitsstätten. Im Vordergrund stehen Schritte hin zu einer Kulturpolitik, die die Freie Szene als eigenständigen Akteur und als Chance für die Stadt ernstnimmt und entsprechend finanziert; eine Kulturpolitik, die verstanden hat, dass freischaffende KünstlerInnen kein „Nachwuchs“ sind, sondern dass die Freie Szene mit ihrem Formenreichtum und ihrer Produktionsvielfalt längst zum eigentlichen künstlerischen Innovationstreiber geworden ist.
Der Koalition der Freien Szene geht es nicht nur um mehr Geld, ein bisschen mehr vom Alten; wir fordern ein kulturpolitisches Umdenken und damit einhergehend neue Förderstrukturen. Die City Tax, deren Einführung ohne das Werben der Freien Szene dafür gar nicht denkbar gewesen wäre und um die die Freie Szene bereits bei den letzten Haushaltsverhandlungen betrogen wurde, muss ab dem Haushalt 2016/17 endlich ihrem ursprünglichen vorgesehenen Zweck dienen und zu einer Abgabe für Berlins Kunstszene werden. Sie muss für einen strukturellen Wandel, ein Umdenken in der Berliner Kunstförderung eingesetzt werden. Kern dieses Umbaus ist die genaue Umsetzung der im 10-Punkte-Programm der Koalition der Freien Szene geforderten Maßnahmen.
Die zusätzlichen Einnahmen müssen in großen Teilen verlässlich der Freien Szene zur Verfügung stehen. Über eine dauerhafte Struktur soll dieses Geld in Selbstverwaltung als Stipendien, zur Förderung künstlerischer Forschungsprojekte sowie für Ankerpositionen der Freien Szene vergeben werden.
Komplementär dazu muss der Haushalt selbst um- und ausgebaut werden: Mindestgagen und Ausstellungshonorare müssen in allen öffentlichen Förderstrukturen für Kunst gewährleistet sein, Projektförderinstrumente nachhaltig gestärkt werden. Die Ausstattung der Häuser der Freien Szene muss entscheidend verbessert werden.
Jede Erhöhung im Sinne des 10-Punkte-Programms ist begrüßenswert. Ob, in welchem Umfang und mit welcher Verbindlichkeit die aktuelle Haushaltsplanung des Senates für 2016 und 2017 dem gerecht wird, hängt vom genauen Wortlaut des Haushaltsentwurfs ab, der noch nicht vorliegt. Es kommt zudem entscheidend auf den Verlauf des parlamentarischen Prozesses ab dem Spätsommer an – wenn die Stunde des Parlaments schlägt, dürfen sinnvolle Strukturveränderungen nicht durch die unsystematische Bedienung von Einzelinteressen ersetzt werden. Die Koalition der Freien Szene bietet den Abgeordneten ihre Expertise und ihre Zusammenarbeit an.
info[at]koalition-der-freien-szene-berlin.de
Ansprechpartner: Christophe Knoch
Tel.: +49-176-32888247